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Überdenke Deine Mobilität

Home Office – Belastung oder Chance?

Ein großer Teil der Bevölkerung arbeitet aktuell von zu Hause. „Home Office“, dieser Begriff, der in sich zwei bisher als unvereinbar geltende Lebenswelten birgt: die private und die berufliche. Das Arbeiten zu Hause wurde uns aufgezwungen und brachte beide Lebenswelten gehörig durcheinander:

  • Zu Hause musste ein Platz gefunden werden, an dem man halbwegs störungsfrei und ergonomisch arbeiten kann. Nun hat vermutlich niemand von uns bisher ein Zimmer einfach übrig gehabt, also musste ein anderer Raum dafür geopfert werden – im Hobbyraum, im Nähzimmer oder im Gästezimmer thront nun der Computer.
  • Der Arbeitgeber, der bisher zeitnah sah, was seine Angestellten während der Arbeitszeit machen, musste auf einmal einen großen Vertrauensvorschuss spendieren. Und das in einer Zeit, in der der Europäische Gerichtshof beschlossen hat, dass Arbeitgeber künftig eine minutengenaue Erfassung der Arbeitszeit ermöglichen müssen. Wie soll das zusammenpassen? Wer stellt sicher, dass die Arbeitnehmer ihre Rauchpausen zu Hause brav von der Arbeitszeit abziehen? Ist der heimische Toilettengang ein beruflicher oder ein privater? Und wer haftet, wenn der Mitarbeiter auf diesem Gang ausrutscht und sich verletzt?
  • Die Zusammenarbeit im Team, die bisher im Büro zumindest technisch und organisatorisch einfach zu leisten war, geriet zum Kraftakt. Da mussten Mikrofone und Kameras zu Hause installiert werden, man hatte neue Gesprächsregeln für Online-Meetings einzuüben, und selbst bisher technisch vollkommen Unbeleckte setzten sich mit einem Mal mit den verschiedensten Systemen für Videokonferenzen auseinander.

Nun, nach einigen Wochen des arbeitstechnischen Eremitentums, können wir aber auch positive Effekte erkennen, von denen ich persönlich einige gern in die Zeit nach der Krise hinüberretten würde:

  • Kein Pendelverkehr mehr morgens und abends. Kein Stau, in dem man sinnlos wertvolle Lebenszeit verschwendet. Keine Parkplatzsuche mehr im Umkreis des Büros.
  • Eine freiere Einteilung der Zeit, zumindest für die Aufgaben, die man alleine erledigt. Ich kann auf meine persönliche tägliche Leistungskurve Rücksicht nehmen. Wenn ich fit bin, erledige ich komplexe Arbeiten. Wenn „die Luft raus ist“, mache ich entweder Routinetätgkeiten, gehe mit dem Hund spazieren oder halte ein kleines Nickerchen. Und danach arbeite ich weiter. Entspannter und gleichzeitig produktiver, als ich das an manchen Tagen im Büro tun konnte. Ob ich an einem solchen Arbeitstag nun sechs, acht oder neun Stunden arbeite, kann ich schwer schätzen. Aber ich beginne langsam wahrzunehmen, dass ich auf einmal Arbeitspunkte erledige, die vorher wochenlang liegen geblieben sind.
  • Die Online-Meetings gelingen von Mal zu Mal besser. Wenn man erstmal die technischen Hürden überwunden und sich an die Gesprächsregeln gewöhnt hat, entdeckt man, dass die Funktionen der Team-Werkzeuge durchaus hilfreich sind: man kann gemeinsam auf ein Dokument blicken ohne sich den Hals zu verrenken, man kann wichtige Ergebnisse unmittelbar als Video oder als Textmitschrift aufzeichnen und an alle Teilnehmer verteilen. Und die Gesprächsregeln führen dazu, dass man öfter ausreden kann als früher.
  • Als Vorgesetzter und Arbeitgeber stelle ich fest, dass der erzwungene Vertrauensvorschuss in den allermeisten Fällen gerechtfertigt war und sich auszahlt. Die Arbeitsergebnisse der Mitarbeiter sind nicht schlechter als vorher, sie kommen höchstens zu ungewöhnlichen Tageszeiten.

Alles in allem ist die Heimarbeit nicht das Schlechteste, was durch die Krise ausgelöst wurde. Und wenn viele diese Erkenntnis teilen, dann führt das hoffentlich dazu, dass wir in Zukunft weniger beruflich reisen werden – das tägliche Pendeln zur Arbeit wird vielleicht nur noch zwei- oder dreimal die Woche notwendig sein. So mancher Besuch beim Kunden, der stundenlange Autobahnfahrten erzeugt hat, lässt sich durch ein gut vorbereitetes Online-Meeting ersetzen. Und viele Dienstreisen ins Ausland werden ebenso durch Videokonferenzen ersetzt werden können. Klar – es tut nach wie vor gut, wenn man Kollegen, Kunden und Lieferanten auch mal persönlich begrüßen und von Angesicht zu Angesicht mit ihnen arbeiten kann. Aber wenn es künftig seltener geschieht, wird es vielleicht auch an Wert gewinnen.

Nächster Schritt: wenn ich dann noch ein paar Mal pro Woche zur Arbeit fahre, dann muss ich das vielleicht nicht mehr mit dem Auto tun. Die in Summe gewonnene Lebenszeit kann ich zum Teil investieren, um den Arbeitsweg mit dem Rad zurückzulegen. Und wenn ich mir die Home Office-Tage frei aussuchen kann, dann lege ich meine Bürotage auf die mit dem schönen Wetter. Nun mit der App „Komoot“ noch eine schöne Strecke aussuchen und schon wird aus der längeren Fahrzeit im Vergleich zur Autofahrt echte Qualitätszeit, in der ich gleichzeitig meinem Körper und meiner Seele etwas Gutes tue.

Dienstrad und Jobticket

Wenn ich nun regelmäßig mit dem Rad zur Arbeit fahre, freut sich nicht nur die Umwelt und mein Körper über die neue Fitness. Auch mein Arbeitgeber hat etwas davon: er muss weniger Parkplätze für seine Angestellten bereithalten.

Diese „Win-Win-Situation“ lässt sich gleich wieder konstruktiv nutzen: ich kann meinen Arbeitgeber nach bestimmten Vergünstigungen fragen, mit denen er die eingesparten Mittel in sinnvolle Ergänzungen meines Gehalts stecken kann

  • Da wäre zum einen das sogenannte „Dienstrad“. Das ist die umweltfreundliche Alternative zum Dienstwagen: der Arbeitgeber kauft oder least ein (meist hochwertiges) Fahrrad oder E-Bike und stellt es mir für berufliche und private Fahrten zur Verfügung. Je nach Art der Finanzierung und der Kostenteilung zwischen Firma und Angestelltem ist das finanziell mehr oder weniger attraktiv. Es lohnt sich aber in jedem Fall, den Chef einfach mal danach zu fragen – denn das ist und bleibt kostenlos.
  • Zum anderen bieten viele Firmen das „Jobticket“ für Fahrten im ÖPNV. Zahlt oder bezuschusst die Firma dieses Ticket, dann ist diese Summe für mich steuerfrei. Außerdem erhalten Firmen oftmals beim Anbieter einen günstigen Sondertarif.

Fahrgemeinschaften

Der ÖPNV ist in Deiner Heimat zu teuer, schlecht verfügbar oder Deine Fahrt zur Arbeit dauert wegen schlechter Anschlüsse ewig, sagst Du? Es gibt immer noch Alternativen zum Selberfahren – nämlich Fahrgemeinschaften.

Schon seit jeher haben sich in größeren Unternehmen Gleichgesinnte gefunden, die sich zu Fahrgemeinschaften zusammengeschlossen haben. Auch heute gibt es diese Möglichkeit noch – schau Dich einfach mal im Intranet Deiner Firma danach um oder konsultiere die guten alten „Schwarzen Bretter“. Einen Versuch ist es wert.

Und wenn Du bei der Suche nicht fündig wirst, gibt es seit kurzem zusätzliche Möglichkeiten: Internet-Startups, die Fahrgemeinschaften über eine App vermitteln. Auf diese Weise ist man nicht auf sein eigenes Unternehmen beschränkt, sondern kann unter Tausenden von Fahrern denjenigen aussuchen, dessen Fahrzeiten und Fahrtroute am besten zu den eigenen Bedürfnissen passen. Die meiner Ansicht nach aktuell interessanteste davon entsteht gerade – „Tramling“, ein Dienst, der besonders den Großraum Erlangen mit sogenannten „virtuellen Routen“ bedienen will.

Zusammenfassung: die Ausreden werden schwächer

Home Office, Radfahren, ÖPNV oder Fahrgemeinschaft – die Alternativen sind inzwischen so zahlreich und so leicht zu organisieren, dass der innere Schweinehund langsam ins Grunzen kommt. Muss ich wirklich jeden Werktag zweimal täglich zwei Tonnen Stahl durch das Verbrennen von unwiederbringlichen wertvollem Industrierohstoff über überfüllte Straßen schicken, nur um meine 80 Kilo Lebendgewicht zum Arbeitsplatz zu bringen? Das ist nicht nur die umweltschädlichste, sondern auch die weitaus teuerste Wahl.
Und wem das als Argument noch nicht reicht, dem seien noch ein paar simple Zahlen zur Klimakrise zitiert:

  • Jeder Bundesbürger produziert aktuell ca. 10 Tonnen CO2 jährlich
  • Fahre ich jährlich etwa 10.000 km mit meinem benzingetriebenen PKW, dann stößt dieses fast 2 Tonnen CO2 übers Jahr aus. Fahre ich einen Diesel, dann ist es zwar etwas weniger CO2 (etwa 1.5 Tonnen), dafür erzeuge ich mehr Stickoxide.
  • Das bedeutet: neben der geliebten jährlichen Flugreise in den Urlaub (ca. 0.5 – 2 Tonnen CO2 pro Person) ist mein Fahrverhalten mit dem Auto der größte Hebel zur Reduktion meiner persönlichen CO2-Bilanz.

Also: ich nehme mir vor, nach dem Corona-Lockdown bewusster über meine Mobilität nachzudenken. Muss ich überhaupt irgendwohin reisen? Und wenn ja – muss es mit dem eigenen Auto sein? Dieses Selbst-in-Frage-stellen werde ich üben müssen – aber mit jedem Mal wird es leichter werden.

Thomas R.

In dieser Reihe bisher erschienene weitere Artikel:

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