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Kauf am Ort – oder doch nicht?

Der dritte Artikel meiner Betrachtungen zum Thema Nachhaltigkeit führt uns zu einer Tätigkeit, die wie wenige andere zwischen den Geschlechtern polarisiert: dem Einkaufen.

Während meine Frau es genießt, ausgedehnte Shoppingtouren durch gefühlt zwei Dutzend Bekleidungsgeschäfte zu machen (und nebenbei bemerkt: ich habe zwei Töchter, die diesen Genuss ähnlich empfinden wie ihre Mutter), reichen mir im Allgemeinen fünf Minuten – allerdings funktioniert das nur, wenn meine Frau nicht dabei ist. Dass ich nicht der einzige bin, dem es vor der Corona-Krise Wochenende für Wochenende so erging, zeigt der Instagram-Account „miserable men“, auf dem Tausende gepeinigter Geschlechtsgenossen ihr Leid bildlich dokumentieren.

Eigentlich kam mir die Viruskrise angesichts dessen ziemlich gelegen, denn durch die Ausgangsbeschränkungen war zunächst mal Schluss mit dem Bummeln durch die Innenstädte. Alles für den Alltag Notwendige holte man sich im lokalen Supermarkt, und alle anderen Einkäufe wurden entweder verschoben oder auf das „Clickshopping“ bei Amazon und Co verlagert. Und wenn meine Frau nun Stunden statt in den Niederlassungen der Fashion-Ketten auf deren Webseiten verbrachte, dann war das für mich vollkommen okay. Wenigstens hatte ich währenddessen Zeit zur freien Verfügung, statt diverse Wartebänke vor den Umkleidekabinen durchsitzen zu müssen.

Aber: Woche um Woche zogen sich die Beschränkungen hin, und es wurde bald klar, welch gewaltiger Schaden an unserer Wirtschaft entstehen würde. Am schlimmsten wurden dabei genau die getroffen, die durch die immer übermächtigere Online-Konkurrenz ohnehin schon schwer angeschlagen waren: die lokalen Einzelhändler. Und neben ihnen die ansässigen Hoteliers und Gastronomen. Fast täglich musste man im Lauf der letzten Monate Hiobsbotschaften aus diesen Branchen hören. Prominenteste, aber längst nicht einzige Opfer der jüngsten Zeit in Erlangen: 

  • Intersport Eisert, der letztes Jahr noch sein hundertjähriges Bestehen feiern durfte, musste Insolvenz anmelden – mit dem Ziel einer Sanierung.
  • Die Greiner GmbH, seit 1794 in Erlangen ansässig und seit 1909 im Besitz der Familie Greiner, wird im Sommer ihr Geschäft aufgeben. 

Wie Kurt Greiner auf seiner Webseite schreibt, waren die corona-bedingten Umsatzeinbrüche nur das „Tüpfelchen auf dem i“. Das wird wohl für die meisten Händler zutreffen. Aber machen wir uns mal folgendes klar: 

  • die jährliche Umsatzrendite im Einzelhandel liegt durchschnittlich im Bereich von 3%. 
  • Die bayerischen Einzelhändler im Non-Food-Bereich mussten allein im April einen Umsatzausfall von etwa 16% hinnehmen – bis jetzt (Quelle). 
  • Im Schnitt braucht ein Einzelhändler also Stand heute ca. 5 Jahre, um die Verluste wieder aufzuholen. Und es ist anzunehmen, dass die Umsätze (wegen der allgemein zunehmenden Kurzarbeit und der damit sinkenden Kaufkraft) weiter sinken. 

Dass angesichts dieser Perspektive so mancher Händler lieber früher als später aufgibt, ist absolut verständlich.

Ist es denn einfach so, dass der Onlinehandel der große Gewinner der Krise ist? Vermutlich nicht. Eine Studie des Händlerbundes zeigt, dass auch der Onlinehandel eher negativ von der Coronakrise beeinflusst wird:

  • Internationale Lieferketten brachen in Folge der Reisebeschränkungen teilweise zusammen
  • Logistikzentren konnten nicht in vollem Umfang betrieben werden, weil Mitarbeiter nicht an ihre Arbeitsplätze konnten
  • Kunden waren stark verunsichert über eine mögliche Ansteckung durch gelieferte Waren, insbesondere chinesische Elektronikware
  • Und nicht zuletzt: einbrechende Kaufkraft und allgemeine Zurückhaltung wegen ungewisser wirtschaftlicher Randbedingungen treffen viele Onlinehändler genauso wie den stationären Handel

Einen klaren Gewinner der Krise gibt es dennoch: den Megariesen Amazon. Schon lange ist das Unternehmen der größte Online-Einzelhändler und war 2019 das viertgrößte Einzelhandelsunternehmen der Welt. Nur die drei amerikanischen Supermarktriesen Kroger, Costco und Walmart machen mehr Umsatz. Konkret konnte Amazon aus dem zeitweiligen Shutdown schier unfassbare Vorteile ziehen:

  • Der Umsatz im ersten Quartal 2020 stieg im Vergleich zum Vorjahr um 26% auf fast 69 Milliarden Euro
  • Die Aktie stieg im gleichen Zeitraum um ca. 30%, aktuell beträgt der Börsenwert ca. 1.2 Billionen Euro
  • Das Vermögen von Hauptaktionär Jeff Bezos beträgt inzwischen ca. 135 Milliarden Euro. Zum Vergleich: das ist ziemlich genau die Höhe des Konjunkturpakets, das die deutsche Bundesregierung Anfang Juni beschlossen hat – in den Händen einer einzigen Person.

Wenn man mal davon absieht, solche Gewinne als grundsätzlich sittenwidrig zu betrachten angesichts einer Welt, auf der immer noch mehr als jeder Zehnte Hunger leidet: was kümmert das den Normalbürger? Schließlich ist online einkaufen praktisch, man spart Zeit und in vielen Fällen gegenüber dem stationären Handel auch noch Geld.

Die Frage ist, was wir uns in Zukunft von unseren Innenstädten erwarten. 

  • Schon heute ist subjektiv etwa jedes dritte Schaufenster in der Innenstadt von Erlangen, Forchheim oder Bamberg leer. Und abgesehen von kurzfristigen Trends wie z.B. in den vergangenen Jahren den wie Pilze aus dem Boden schießenden Bubble Tea- und Frozen Joghurt-Läden (die inzwischen fast vollständig wieder verschwunden sind) gibt es kaum neue Geschäftsmodelle, die eine Neubelegung der leerstehenden Ladenflächen in größerem Maß versprechen. Ein Bummel durch die Stadt wird also immer unattraktiver.
  • Das hat aber für andere Branchen unangenehme Konsequenzen: wer nicht in der Stadt bummeln geht, geht auch seltener dort ins Restaurant oder holt sich auf dem Weg Fast Food. Und auch Apotheken, Banken und Fitnessstudios brauchen Laufkundschaft. Wenn diese in der Innenstadt ausbleibt, wandern diese Anbieter ab – teilweise ins Internet, aber auch in die großen Einkaufszentren in der Peripherie. Die Stadtzentren leeren sich also weiter.
  • Schließlich werden sie so unattraktiv, dass auch der Betrieb einer Kneipe, einer Bar oder eines Clubs dort keinen Sinn mehr macht.

Zurück bleiben umfangreiche Leerstände, die irgendwann abgerissen und durch Anlagen für betreutes Wohnen oder Innenstadthotels ersetzt werden. Damit verlieren die Stadtzentren aber ihre immense Bedeutung als Zentren der Begegnung, als „Herz“ einer Kommune.

Auch hiergegen mag man einwenden: Na und? Ist doch gut, wenn der Individualverkehr ins Stadtzentrum nachlässt und wenn  in zentraler Lage Wohnungen für Ältere entstehen … ja, aber wenn die zentrale Lage gleichzeitig den Vorteil der Nähe zu Ärzten, Apotheken und sonstiger Nahversorgung verliert, dann hat am Ende niemand was davon außer der Immobilienbranche, die Neubauten errichten und verkaufen kann.

Dieser bundesweit zu beobachtende Trend ist sicherlich etwas, worum sich zu allererst Bundes- und Landesregierungen und Kommunen kümmern müssen:

  • durch eine gerechte Besteuerung von Online- und stationärem Handel
  • durch innovative Innenstadtkonzepte, die von einem aktiven City Management umgesetzt werden
  • durch die gezielte Förderung und Ausweitung des ÖPNV, der dafür sorgt, dass man ohne Staus und mit geringer Umweltbelastung in die City kommt

Aber auch jeder Einzelne kann positiv darauf einwirken, dass die Städte nicht verwaisen:

  • Geh lokal einkaufen, wenn Du kannst. Informiere Dich vorab im Internet, was Du wo findest. Du wirst erstaunt sein, was es alles vor Ort gibt.
  • Du weißt mal wieder nicht, was Du Deinem Kind/Neffen/Freund … zum Geburtstag schenken sollst und greifst zum Amazon-Gutschein? In fast allen Städten haben sich – spätestens im Verlauf der Corona-Krise – Initiativen gebildet, die Gutscheine für den stationären Handel vermarkten. Die meisten davon verschicken die Gutscheine auch online. Beispielsweise bietet Erlangen den City-Gutschein und Herzogenaurach den HERZOgutschein an. Im Gegensatz zu Amazon kann man diese auch beispielsweise bei einem Friseurbesuch einlösen.
  • Als Alternative haben viele City-Manager  in Zusammenarbeit mit den lokalen Händlern, Taxiunternehmen und Lastenrad-Anbietern lokale Lieferdienste eingerichtet. Auch hier sei Erlangen mit seinem „ERliefert“ als Beispiel genannt. Für einen geringen Aufpreis kann man sich im städtischen Umfeld Waren anliefern lassen, außerdem dient diese Webseite auch als Übersicht für Online-Shops der lokalen Händler.
  • Womit wir bei der letzten Handlungsempfehlung wären: bleib nicht bei Amazon oder anderen reinen Online-Händlern hängen, auch wenn es bequem ist. Viele Einzelhändler haben in den letzten Jahren als sogenannte „Multichannel-Strategie“ eigene Onlineshops etabliert, die genauso bequem zu bedienen sind. Und selbst wenn Du Deinen Wunschartikel zuerst bei Amazon entdeckst – schau genau hin. Oftmals handelt es sich bei dem Artikel um den eines „angedockten“ Online-Händlers, der auch seine eigene Webseite betreibt. Bestellst Du den Artikel über diese Webseite, so verdient Amazon daran wenigstens nicht mit.

Ist doch aber alles teurer als bei Amazon, sagst Du? Das mag in vielen Fällen stimmen, in manchen wiederum nicht – und wenn es stimmt, dann sieh es einfach als Investition in die Überlebensfähigkeit der Innenstadt. Und wenn Dir Dein Geldbeutel dann doch wichtiger ist als dieses abstrakte Gemeinwohl-Ziel, dann wundere Dich wenigstens in fünf Jahren nicht darüber, dass Du vor Ort keinen Bäcker, keine Apotheke, keinen Allgemeinarzt und keine Feierabend-Kneipe mehr hast ….

Thomas R.

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